Versuch einer Darstellung der Entwicklung des
Violinbogens
Zur Entwicklung der Violintechnik, Bogenhaltung
und Bogenführung
Anke &
Thomas M. Gerbeth
Der französische und italienische
Bogengriff
Stricharten im 17. Jahrhundert
Arcangelo Corelli
Der Einfluß Giuseppe Tartinis
Leopold Mozarts Violinschule
Die Geiger Wilhelm Cramer und Giovanni B.
Viotti
Das Pariser Conservatoire
Louis Spohr
Niccolò Paganini
Joseph Joachim
Die Jahrhundertwende
Der Bogen in der modernen russischen
Violinschule
Ausblick
gekürzte Fassung ohne Abbildungen
Die direkte, wissenschaftliche Zuordnung der
einzelnen Textstellen in der Abhandlung kann (aus Platzgründen auf der Homepage)
leider nur in der Originalausgabe erfolgen. Der Verlag und Erscheinungstermin
wird rechtzeitig hier bekanntgegeben.
Der französische und italienische Bogengriff
In Frankreich enthalten die Aufzeichnungen über das
höfische Leben zahlreiche Hinweise auf den Gebrauch von Violinen um und nach dem
Jahr 1550. Zur Abgrenzung der Violine zur Viole schreibt Jambe de Fer (ca. 1508
oder ca. 1515-1566): "Die Violine ist sehr verschieden von der Viole. Das Corpus
ist kleiner, flacher und der Ton ist rauher […] und die Franzosen und Italiener
unterscheiden sich nicht in der Spielweise des Instruments […]. Wir nennen jene
Instrumente Violen, mit denen vornehme Herren, Kaufleute und andere ehrbare
Leute sich die Zeit vertreiben […]. Die andere Art Instrument wird Violine
genannt; es wird gewöhnlich für den Tanz verwendet, und dieses mit gutem Grund,
denn es ist leichter, in Quinten zu stimmen als in Quarten. Es ist auch leichter
zu tragen, was von Wichtigkeit ist, wenn man Hochzeitszüge anführt, oder beim
Mummenschanz […]. Überdies gibt es wenig Leute, die sie benutzen, ausser
solchen, die mit ihr ihren Lebensunterhalt verdienen." Auf den ersten Geigen und
somit mit den ersten Violinbögen wurde hauptsächlich Tanzmusik gespielt oder sie
übernahmen die colla-parte-Stimmen in den Vokalsätzen. Die erste gedruckte
Violinmusik stammt aus dem Jahr 1581, eine Hochzeitsmusik. Von Lambert de
Beaulieu und Jacques Salmon (der letztere war wahrscheinlich ein Violinspieler)
komponiert, wurde sie in "Circe ou le ballet comique de la Reine" veröffentlicht
und anlässlich der Vermählung des Duc de Yojeuse mit Mme de Vaudemont aufgeführt.
"Im 16. Jahrhundert wurde im größeren Umfang französische Tanzmusik für
Ensembles gedruckt; aber keine Tanzmusik vor 1581 […] kann speziell mit der
Violine in Verbindung gebracht werden." Diese Hochzeitsmusik könnte aber
durchaus auch von anderen Instrumenten gespielt worden sein. Besondere
technische Anforderungen werden weder an den Violinspieler noch an den Bogen
gestellt. Wie aus den Titeln solcher Tanzsammlungen häufig hervorgeht, sind sie
jedoch "für alle Arten von Instrumenten" oder sogar für Singstimmen bestimmt.
"Diese Danceries waren wohl für Liebhaber gedacht, und nicht für die typischen
Musikanten, wie die Violinspieler, die zum Tanz aufspielen. Bezeichnenderweise
spielen die Tanzmusiker auf den Bildern der Zeit ohne Noten." Die damals
verwendeten Bögen waren sehr kurz und wenig modellierfähig. Durch die tiefe
Brusthaltung der Geige war auch der Bogenarm in einer tiefen Stellung, wodurch
der Bogen trotz geringem Eigen- und Armgewicht genügend belastet wurde. Der
Bogen wurde in der Mehrzahl mit dem Daumen unter den Haaren gehalten. Durch
diese, später auch als "französischer Griff" bezeichnete Haltung, waren die für
die Tanzmusik notwendigen Akzentuierungen gut auszuführen. Trotz ihres Namens,
den sie vermutlich in späteren Jahren erhielt, war diese Bogenhaltung nicht auf
Frankreich beschränkt. Auch in Italien und in anderen Ländern war sie weit
verbreitet. Am längsten, bis ins 18. Jahrhundert, hielt sie sich jedoch in
Frankreich. Über die Artikulation der Violinmusik des 16. Jahrhunderts schreibt
Boyden: "Wegen der Art des Bogens und der Tatsache, dass der Violinspieler
gewöhnlich zum Tanz musizierte, wurde der größere Teil der Violinmusik
wahrscheinlich anders als heute in einem artikulierteren non legato-Stil
gespielt. Wie oben erklärt, ergibt das nachgebende Haar aller dieser konvexen
Bogen eine weitaus natürlichere Artikulation als ein moderner Bogen. Der
Schwerpunkt des alten Bogens liegt im allgemeinen näher zum Frosch, und daher
ist die Bogenspitze leichter. Demzufolge haben Bogenstriche im oberen Drittel
des alten Bogens weniger Kraft als ähnliche Striche mit einem modernen Bogen.
Und diese Eigenschaft, kombiniert mit der dem alten Bogen eigenen
Nachgiebigkeit, ergibt natürlich eine deutlichere Artikulation oder Trennung
zwischen den Tönen oder Phrasen. In der Regel war der alte Bogen (obwohl nicht
genormt) wesentlich kürzer als der moderne. Da die Bogen allgemein kürzer waren,
waren auch die Bogenstriche kürzer als beim modernen Spiel. Was die
musikalischen Erfordernisse betraf, brauchte die Tanzmusik einen präzisen
Rhythmus; eine klare non legato-Artikulation zwischen den Bogenstrichen kam
dieser Notwendigkeit besser entgegen als der heute beliebte ausgesprochene
Legato-Bogenwechsel. In der Violinmusik des 16. Jahrhunderts muss daher
zweifellos ein größerer Eindruck von Licht und Luft bestanden haben, mehr Atem
zwischen den Phrasen, eine Art von non legato-Stil, der für den lebhaften
Rhythmus geeignet ist. Eine klare Gliederung, die dem Atemholen der Sänger
entspricht, deren Kunst die Tongebung des Violinspielers nachgebildet war, war
für die Violinspieler früherer Zeiten natürlich. Sie waren nicht besessen von
der modernen Manie für den »Bogen ohne Ende« – einen glatten und nahtlosen
Bogenwechsel, der seit dem 19. Jahrhundert die Violinspieler immer mehr
beschäftigt." Über den Gebrauch der Violine in Deutschland ist aus dem 16.
Jahrhundert sehr wenig bekannt. Aus einem Bericht über die
Hochzeitsfeierlichkeiten von Wilhelm V., Herzog von Bayern und Renée von
Lothringen vom 22. Februar bis 9. März 1568, geht hervor, dass Orlando di Lasso
für die musikalische Leitung dieses Festes verantwortlich zeichnete. Hans
Mielich, der Hofmaler (und Schwiegersohn Lassos) malte die Münchner Hofkapelle,
die zu dieser Zeit unter Lasso spielte und sang. Leider sind die verwendeten
Bögen kaum bis gar nicht zu erkennen. Die wenigen erhaltenen Musikstücke des 16.
Jahrhunderts deuten darauf hin, daß die spezifischen Möglichkeiten der Violine
wenig ausgenutzt wurden, besonders dort, wo die Violine der Volksmusik diente.
Sieht man sich noch einmal die Bögen dieser Zeit an, so wird deutlich, daß sie
in ihrer einfachen Bauart und Unvollkommenheit der Musik dieser Zeit gewachsen
waren. Hier treffen zwei Bedingungsfelder zusammen: Die Musik konnte nur das
fordern, was das Material zu geben vermag oder eine ausgefeiltere Herstellung
der Bögen war noch nicht nötig, weil die Musik nicht mehr verlangte. Wie oben
bereits erwähnt, waren die Bögen im 16. Jahrhundert in Frankreich sehr kurz.
Hier wurden sie hauptsächlich für die Tanzmusik eingesetzt. In Italien jedoch,
wo es ab dem Ende des 16. Jahrhunderts schon Violinen höchster Vollendung gab
und diese meist zur Begleitung von Singstimmen und später für Sonaten verwendet
wurden, finden sich längere Bögen. Diese Bögen werden nun nicht mehr mit dem
Daumen unter den Haaren, sondern mit dem Daumen an der Stange gegriffen. Über
die nächsten 150 Jahre war dieser Bogengriff als der "italienische Griff"
bekannt. "Der italienische Bogengriff ist viel sensibler, da man damit durch
verschiedenen Fingerdruck die Stange besser beeinflussen kann. Der Ton wird
modellierfähiger und entspricht dem Verlangen nach einem gesanglichen,
lyrischen, der menschlichen Stimme ähnlichen Klang […]." Hier stehen wir auch an
einer Weggabelung zweier Nationen: Italien nimmt den Weg zur solistischen
Violinliteratur, während Frankreich mit seiner Musik dem Tanz als vorrangige
Form - wenn auch in der Kunstmusik zu höchster Vollendung gelangt - noch für
eine gute Zeit verhaftet bleibt. Wie schon angedeutet, war die "französische
Bogenhaltung" in Frankreich auch noch im 18. Jahrhundert verbreitet. Michelle
Corrette (1709-1795) illustriert sie in seiner "L'École d' Orphée" (1738) und
beschreibt sowohl den französischen als auch den italienischen Griff: "Die
Italiener halten den Bogen in drei Vierteln (seiner Länge), indem sie vier
Finger zu Buchstabe A setzen und den Daumen darunter zu B; und die Franzosen
halten ihn an der Seite des Frosches (hausse), indem sie den ersten, zweiten und
dritten Finger über das Holz bei C D E setzen, den Daumen unterhalb des Haars
bei F und den kleinen Finger an die Seite der Bogenstange bei G. Diese beiden
Methoden der Bogenhaltung sind gleich gut und hängen davon ab, welcher Lehrer
unterrichtet […] Die Achtel und Sechzehntel werden am Ende des Bogens bei H J
gespielt." Die dem französischen Geiger heute attestierte damalige
Rückständigkeit konnte er gar nicht erkennen, denn er hatte ausschließlich
französische Musik zu spielen. Erst als er um 1700 mit der italienischen Sonate
konfrontiert wurde und die Musik von Arcangelo Corelli und seinen Zeitgenossen
in die Hände bekam, wurde ihm die Divergenz der unterschiedlichen Spielarten
bewusst. Nach dem Erscheinen der französischen sonatistes um 1720 wurde der
französische Griff allmählich altmodisch. Um 1750 war er wohl in der Kunstmusik
völlig überholt, denn er ist weder bei Abbé le fils 1761, noch in Corettes
Violinlehre von 1782 erwähnt. Doch auch in Italien muss noch bis weit ins 18.
Jahrhundert hinein bei Tanzmusiken nach dieser Art gespielt worden sein.
Stricharten im 17. Jahrhundert
Zu dieser Zeit war nicht mehr nur der einfachste,
der einzelne Bogenstrich bekannt, der legato oder staccato die Töne von einander
trennt und bei dem sich die Strichrichtung bei jedem Ton ändert, es gab auch
schon zahlreiche gebundene Stricharten, einschließlich solcher mit
Staccatopunkten unter einem Bindebogen. Die relative Länge des einzelnen
Bogenstrichs hing sowohl vom Zusammenhang, als auch in gewissem Maße vom
nationalen til ab. In der französischen Musik war, wohl auch im Zusammenhang mit
dem kurzen Bogen, ein kurzer Bogenstrich üblich. Die Regelung des Ab- und
Aufstrichs, mit der man sich bereits im 16. Jahrhundert beschäftigt hatte, wurde
im 17. Jahrhundert weiterentwickelt, ausgebaut und später als "Abstrichregel"
bezeichnet. Für die akzentuierten Noten, also beispielsweise bei jedem
Taktanfang, wurde der Abstrich verwendet. Die leichten Taktteile wurden mit
Aufstrich gespielt.1636 beschreibt Marin Mersenne die Regelung der Bogenführung
folgendermaßen: "[…] il faut considerer que l'on doit tousiours tirer l'archet
en bas sur la premiere note de la mesure, & qu'il faut le pousser en haut sur la
note qui suit […] il se tire tousiours sur la premiere note de chaque mesure
composée d'un nombre pair de notes, mais si elle est composée d'un nombre impair
[…] l'on tire l'archet en haut sur la premiere note de la mesure qui suit, afin
de le tirer encore sur la premiere note de la 3. mesure […]." Die Struktur des
alten Bogens und der alte Bogengriff, der ein lockeres, geschmeidiges Handgelenk
erforderte, erzeugten eine Art non-legato-Strich. Im modernen Violinspiel wird
der Bogenwechsel im ausgeprägten Legato sorgfältig gepflegt. Dieser moderne
Legatostrich wird häufig als détaché bezeichnet. Dies ist jedoch eine äußerst
irreführende Benennung, da détaché eigentlich "abgetrennt" oder "unverbunden"
bedeutet. Wenn in alter Musik also von détaché die Rede ist, handelt es sich
wohl eher um den non-legato-Strich. Wurden stärker von einander getrennte Töne
gefordert, benutzte man Ausdrücke wie staccato oder spiccato, die scheinbar
damals gleichbedeutend waren. Gekennzeichnet war eine kurz zu spielende Note
meist durch einen Punkt ( . ) oder einen senkrechten Strich ( ½ ) ober- oder
unterhalb derselben. "Im späten 17. Jahrhundert bedeuteten Punkte oder Striche
gewöhnlich das Gleiche; kamen jedoch beide im gleichen Stück vor, so stand der
Strich für eine kräftigere und ausdrücklichere Trennung als der Punkt." Auch bei
den gebundenen Stricharten steht schon eine diverse Auswahl zur Verfügung. So
gibt es beispielsweise synkopierte Striche, bei denen der Strich eine
rhythmische Synkopierung hervorruft. Durch eine Wellenlinie unter dem Bindebogen
wird die Strichart ondeggiando (ondulé) angezeigt. Der Bogenarm hat dabei eine
wellenförmige Bewegung auszuführen, durch die abwechselnd zwei benachbarte
Saiten angestrichen werden. Das ondulé kann gebunden oder ungebunden ausgeführt
werden. Der Ausdruck ondeggiando kann auch verwendet werden, um die
wellenförmige Bewegung bei Arpeggiospiel anzudeuten. Die meisten dieser
Stricharten lassen sich nach eigener Erfahrung und derer von professionellen
Geigern, wie beispielsweise Marianne Kubitschek-Rônez, auf einem Bogen im Modell
der Zeit besser und leichter hervorbringen als mit einem "modernen" Bogen, der
heute üblicherweise Verwendung findet.
Arcangelo Corelli
Der italienische Komponist Arcangelo Corelli
(1653-1713) ist einer der Hauptvertreter des Concerto großo, das die Stammform
des heute noch beliebten Instrumentalkonzerts zu sein scheint. Das Concerto
großo ging aus einer Verschmelzung des im 17. Jahrhundert in Italien und
Frankreich üblichen Trios von meist zwei Violinen und Baß mit der vielstimmigen
Orchestersonate hervor. Neben den Concerti großi, die Corelli erst 1712
veröffentlichte, brachte er schon im Jahr 1700 zwölf Violinsonaten (op. 5)
heraus. Diese sollten für die nächsten Generationen von Violinisten von großer
Bedeutung sein. Seine Konzerte waren, wenn man Johann Joachim Quantz Worte so
interpretieren darf, jedoch 1752 schon veraltet, bzw. nicht nach deutschem
Geschmack. Er schreibt: "Zuletzt aber verfiel er, durch allzuvieles und
tägliches Componieren, und besonders da er anfing, theatralische Singmusik zu
verfertigen, in eine Leichtsinnigkeit und Frechheit, sowohl im Setzen, als im
Spielen: weswegen auch seine letztern Concerte nicht mehr so viel Beyfall
verdienten, als die erstern." Die ersten vollgültigen Solokonzerte, die jedoch
in ihrer Art zu konzertieren noch etwas bescheiden sind, stellte Giuseppe
Torelli (1658-1709) in seinen Concerti musicali op. 6 vor, die im Jahre 1698
veröffentlicht wurden. Corelli wird zugeschrieben, einen längeren Bogen benutzt
zu haben, als seine Vorgänger. Die etwas längere Stange erleichtert das cantable
Spiel und erlaubt mehr Modifikation des Tones. Vom englischen Verleger Robert
Bremner (1713-1789), aus seinem Vorwort zu "Six Quarttetos for two violin, a
tenor, and violoncello[…]" von J. G. C. Schetky (op. 6, London 1977), sind
interessante Bemerkungen über Corelli und die spieltechnischen Anforderungen der
Zeit überliefert. "Die Anwendung des 'swell' - messa di voce - ist von größter
Wichtigkeit für jene, die ein zu Herzen gehendes Adagio oder eine andere Melodie
hervorbringen wollen; solche langsamen Sätze aber, die mehr für die Wirkung der
Harmonie als der Melodie geschrieben sind, wie in den Trio's von Corelli und
anderen modernen Komponisten, erfordern in den meisten Fällen einen anhaltenden
Bogenstrich mit gleichmäßigem Druck. Die tägliche Übung dieser Strichart ist
ebenso wichtig wie der 'swell' für jene, die im Ensemble nützlich sein wollen,
denn es gewöhnt den Studierenden daran, immer noch etwas Bogenlänge übrig zu
haben, was jeder gute Spieler anstrebt. Diese zwei, nämlich swell und sostenuto,
können als die Wurzeln bezeichnet werden, aus denen alle weiteren Fähigkeiten
des Bogens entspringen." Langsam bildete sich aus dem Sonatenstil ein
brillanter Solo-Konzertstil. Im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts
erschienen noch recht wenige Konzertwerke, deren Krone jedoch Torellis sechs
Solokonzerte op. 8 aus dem Jahr 1708 darstellen. Schon 1712 beherrschte Antonio
Vivaldi den Markt. Er wurde für die Gattung des Konzerts genauso vorbildlich wie
Arcangelo Corelli für die Violinsonate. Viele der besten Konzertspieler Italiens
zogen über die Alpen und stellten ihre Kunst in Mitteleuropa persönlich vor. In
Deutschland wurde das italienische Konzert sowohl im Kirchen- als auch im
Kammerstil, sofort freudig begrüßt und zum Repräsentanten des "neuen gusto"
ausgerufen.
Der Einfluß Giuseppe Tartinis
Der Autodidakt Giuseppe Tartini (1692-1770) fand
sein Vorbild in Francesco Maria Veracini (1690-1750), den er 1716 in Venedig
hörte. Er war wohl fasziniert von der Ausdruckskraft Veracinis. Charles Burneys
Bericht zufolge soll sein Ton laut, klar und besonders gut gewesen sein. Nach
diesem einschneidenden musikalischen Erlebnis zog sich Giuseppe Tartini nach
Ancona zurück, um ausschließlich zu üben und der Kunst Veracinis gleich zu
kommen. Anschließend wurde Tartinis Spiel überall bewundert, wovon viele seiner
Zeitgenossen Zeugnis geben. Giuseppe Tartini war einer der ersten Geiger, die
dem Bogen besondere Bedeutung zumaßen. In einem Brief an seine Schülerin
Maddalena Lombardini, später Mme Sirmen, aus dem Jahr 1760, in dem die
methodischen Leitsätze seines Lehrsystems und einige pädagogische Ratschläge in
kurzer Form dargelegt sind, gibt er Anweisungen zur Übung eines kontrollierten
Bogens. Er beginnt seine Ratschläge mit folgenden Worten: "Ihre vornehmste Übung
muß den Gebrauch des Bogens betreffen: Sie müssen darüber unumschränkter Meister
werden sowohl in Passagen als im Kantabile." Weiterhin gilt sein Hauptaugenmerk
dem Tonansatz, der an jeder Stelle des Bogens weich vollzogen werden muß, erst
dann darf sich die Tonfülle entwickeln. "Primo studio dev' essere l'appoggio
dell'arco su la corda siffattamente leggiero, che il primo principio della voce,
che si cava, sia come un fiato, e non come una percossa su la corda. Consiste in
leggerezza di polso, e in proseguir subito l'arcata dopo l'appoggio,
rinforzandola quanto si vuole, perchè dopo l'appoggio leggiero non vi è più
pericolo di asprezza, e crudezza." Wichtig sind auch die freie Beherrschung der
Bogenbewegung auf- und abwärts, an beliebiger Stelle des Bogens und in
beliebiger dynamischer Färbung. Laut François Joseph Marie Fayolle (1774-1852),
einem französischen Musikschriftsteller, besaß Tartini zwei Bögen zu
Übungszwecken, einen für den 3/4-Takt und einen für den 4/4-Takt. Durch
Markierungen war der eine in drei, der andere in vier Abschnitte unterteilt. Er
übte damit die genaueste Einteilung des Bogens, um ihn so zu jeder Zeit unter
Kontrolle zu haben. Alle Übungen und Passagen beherrschte er sowohl wenn er mit
Abstrich als auch wenn er mit Aufstrich begann. Auf Tartinis Notenpult soll in
großen Lettern die Maxime "Kraft ohne Steifheit und Flexibilität ohne
Schlaffheit" gestanden haben. Das Besondere an Tartini und seiner Schule
muss
sein Adagiospiel und damit einhergehend die Bogenkunst in der Nuancierung des
Tons gewesen sein. Im Verlaufe seiner Entwicklung suchte Tartini immer weniger
die äußeren Schwierigkeiten - obwohl seine Werke spieltechnisch schwierig sind -
sondern die Ausgewogenheit und Einfachheit. In den letzten Lebensjahren von
Giuseppe Tartini war bereits das Bogenmodell mit dem hammerförmigen Kopf, das
Cramer-Modell, bekannt und beliebt. Da der sog. "Maestro delle nationi" auch mit
vielen nicht-italienischen Geigern Kontakt hatte, wäre es möglich, daß er einen
solchen Bogen gekannt und vielleicht auch gespielt hat. Leider sind hierüber
keine schriftlichen Berichte seinerseits oder von Zeitzeugen erhalten.
Leopold Mozarts Violinschule
Leopold Mozart (1719-1787), der als Sohn eines wenig
bemittelten Buchbinders in Augsburg zur Welt kam, sollte eigentlich Geistlicher
werden. Nach dem Tode seines Vaters ging er nach Salzburg und schlug sich als
Kammerdiener durch. Als Kind der Aufklärung erwarb er sich zugleich eine
vielseitige Bildung. 1743 trat er als 4. Violinist in die erzbischöfliche
Hofkapelle ein, um sich dort im Lauf der Zeit bis zum Hofkompositeur und
Vizekapellmeister hinaufzuarbeiten. 1756 erschien sein bedeutendstes Werk im
Druck, sein "Versuch einer gründlichen Violinschule". Es wurde mehrmals
aufgelegt und in verschiedene Sprachen übersetzt. Die 1. Auflage umfasst 264
Seiten Text, der durch kurze Notenbeispiele und Abbildungen illustriert wird.
Sie enthält auch einige längere Notenbeispiele, jedoch keine vollständigen
Kompositionen. Mozart verwendete auch Tartinische Lehrmethoden und Lehrstücke in
seiner Violinschule. Die bei Leopold Mozart abgebildeten Bögen lassen sich
ausschließlich als Steckfroschbögen identifizieren. Er bezeichnet den
Bogengriff, bei dem die Hand ein Stück entfernt vom Frosch die Stange hält, als
Fehler. Ein "männlicher Ton" sei nur mit Griffhaltung am Frosch möglich. Der
Bogen wird hauptsächlich vom Zeigefinger kontrolliert, wobei der Druck- und
Auflagepunkt zwischen dem zweiten und dritten Fingerglied liegt. In anderen
Schulen, beispielsweise bei L'Abbé le fils, in seinem 1761 veröffentlichten
"Principe du Violon", liegt dieser in der Mitte des zweiten Gliedes oder auch
zwischen dem ersten und dem zweiten Glied. Joseph Barnabé Saint Sevin l'Abbé
fils (1727-1803) weist dem Bogen eine bedeutende Aufgabe zu. Er bezeichnet ihn
als "âme de l'instrument", also als die Seele des Instruments. Die unbedingte
Beherrschung des Bogens, nicht nur in den vielen Beispielen des staccato auf
einen Bogen, auf- und abwärts, mit Auf- und Abstrich beginnend, wird verlangt,
sondern auch bei weiten Saitenübergängen. Seine Übungen zeigen jedoch keinen
virtuosen Charakter. Das oben bereits erwähnte Problem des Beginnens eines
Bogenstrichs wird zum erstenmal von Leopold Mozart (1756) und kurz darauf von
Giuseppe Tartini (1760) erwähnt. Mozart schreibt: "Jeder auch auf das stärkeste
ergriffene Ton hat eine kleine obwohl kaum merkliche Schwäche vor sich: sonst
würde es kein Ton, sondern nur ein unangenehmer und unverständlicher Laut seyn.
Eben diese Schwäche ist an dem Ende des Tones zu hören. Man muss also den
Geigenbogen in das Schwache und Starke abzutheilen, und folglich durch Nachdruck
und Mässigung die Töne schön und rührend vorzutragen wissen." In den folgenden
Abteilungen beschreibt Mozart verschiedene Charaktere nuancierter Bogenstriche,
die alle sowohl im Aufstrich als auch im Abstrich geübt werden sollen. In
"Abtheilung I" wird die messa di voce, also ein Anschwellen bis zur Mitte des
Strichs und ein Abschwellen bis zu seinem Ende beschrieben. Der Bogen wird hier
so viel wie möglich zurück gehalten, "um sich hierdurch in den Stand zu setzen
in einem Adagio eine lange Note zu der Zuhörer großen Vergnügen rein und
zierlich auszuhalten. Gleichwie es ungemein rührend ist, wenn die Sänger ohne
Athem zu holen eine lange Note mit abwechselnder Schwäche und Stärke schön
aushält." Der Zweck von Mozarts Violinschule bestand darin, den Schülern im
Violinspiel eine gründliche musikalische Ausbildung zu geben, nicht nur blanke
Fingerfertigkeit. Der Schüler sollte, den Forderungen der Aufklärung folgend,
wissen, was er tut und sich über alles im klaren sein, was er zu leisten hat.
Durch ihren ausführlichen Text gibt sie sowohl dem Schüler als auch dem Lehrer
Hilfen für einen erfolgreichen Unterricht. Um ein Stück angemessen und "mit
Verstand" vorzutragen, verlangte Mozart von einem Violinspieler nicht nur die
Töne abspielen zu können, sondern auch in Rhetorik und Poetik bewandert zu sein.
Im gleichen Zeitraum erschien auch noch eine andere Violinschule. Francesco
Geminianis (1687-1762) "Art of Playing on the Violin", die 1751 in England
erschien, ist das erste Lehrbuch für Berufsgeiger. Geminiani verurteilt darin
die im 17. Jahrhundert gebräuchliche Abstrichregel. Schon im 18. Jahrhundert
scheint auch für das Publikum ein Bogen von großer Wichtigkeit für den Klang der
Musik gewesen zu sein. In Paris bezahlte ein vornehmer Herr dem italienischen
Geiger Antonio Lolly, der auch einige Zeit in den Diensten des Herzogs von
Württemberg stand, 24 Louisd'or für einen Violinbogen. "Vermutlich glaubte jener
Herr, die Kunst stecke nur in dem Bogen und dieser sei der Talisman des Spiels."
Die Geiger Wilhelm Cramer und Giovanni Battista Viotti
Wilhelm Cramer, der bedeutendste ausübende Künstler
der Mannheimer Schule wird 1745 in Mannheim geboren. Von 1757-72 war er dort
Sologeiger an der kurfürstlichen Kapelle. Auf Veranlassung von Johann Christian
Bach ging er 1773 nach London, wo er Hofkonzerte dirigierte und u.a. "leader"
des Orchesters der italienischen Oper wurde. Zusätzlich dirigierte er Concerte
für alte Musik und die jährlichen Concerte des Musical Fund, der späteren Royal
Society of Musicians. "Bei Gründung der Professional Concerts wurde Cramer als
leader an die Spitze gestellt und konnte als solcher die Werke Haydns dem
Meister bei seiner Anwesenheit in London selbst vorführen." 1793 schrieb ein
Deutscher in der Berliner Musikalischen Zeitung über ihn: "Cramer spielt seine
eigenen Concerte sehr schön, hat einen guten Ton, trägt sehr schwere Sachen mit
großer Nettigkeit vor und spielt sehr rein und präcis." Von Daniel Schubart ist
über ihn zu lesen: "Wilhelm Cramer ist ein Geiger voll Genie […]. Die Engländer
nennen ihn den ersten Violinisten der Welt. Wenn auch dies Urtheil übertrieben
seyn möchte; so muss man doch gestehen, daß er es zu einer bewundernswerthen
Vollkommenheit auf seinem Instrument gebracht hat. Sein Strich ist ganz
original: er führt ihn nicht wie andere Geiger grande herunter, sondern oben
hinweg und nimmt ihn kurz und äußerst fein. Niemand stakirt die Noten mit so
ungemeiner Präzision wie Cramer. Er spielt sehr schnell, geflügelt, und dies
alles ohne Zwang; doch gelingt ihm das Adagio oder vielmehr das Zärtliche und
Gefühlvolle am meisten. Es ist vielleicht nicht möglich, ein Rondo süßer und
herzerfüllter vorzutragen, als Cramer es thut." So wie man Tartini stilbildend
für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts betrachtet, gilt dies wohl für Giovan
Battista Viotti (1755-1824) in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Er wird
auch der "Vater des modernen Violinspiels" genannt. Seine Violinkonzerte
entstanden meistenteils zwischen 1780 und 1800. Sie bilden die Brücke zwischen
den Violinkonzerten Wolfgang Amadeus Mozarts (1775) und Ludwig van Beethovens
(1806). Viotti erfüllte bereits alle Bedingungen eines Virtuosen-Komponisten.
Seine Konzerte beschränkten sich jedoch nicht auf halsbrecherische Akrobatik,
sondern verbanden Ton, Technik, Grazie und Drama. Seine Konzertreisen brachten
ihn von Italien über die Schweiz und die Höfe Dresden und Berlin und weiter über
Warschau nach St. Petersburg. Ende 1781 verließ er die russische Metropole und
begab sich über Berlin nach Paris, wo er am 17. März 1782 unter beispiellosem
Erfolg im Concert spirituell debütierte. Durch die Auswirkungen der Französischen
Revolution verließ er 1792 Paris und reiste nach London. Dort hatte Wilhelm
Cramer sehr unter seinem großen Erfolg zu leiden. Viottis glückliche Zeit in
London war jedoch bald zu Ende. Er wurde verdächtigt, ein Spion in französischen
Diensten zu sein und musste London sofort verlassen. Der Künstler, der sich
unschuldig wusste, reiste tief gekränkt nach Deutschland, wo er in Schenefeld bei
Hamburg für einige Zeit lebte. Dort schrieb er unter anderem auch eine
Violinschule. Sein Grundsatz war: Le violon, c'est l'archet. Im Jahre 1801
erhielt er die Erlaubnis, nach England zurückzukehren. Aber man nahm ihn in
London diesmal sehr kühl auf, weshalb er 1802 zu einem kurzen Besuch nach Paris
ging. "Er ließ sich von Baillot überreden, im Konservatorium aufzutreten, und
erregte das größte Entzücken. Baillot gab folgende Schilderung seines damaligen
Spiels: 'Alles schien mühelos dahinzufließen, weich und doch energisch. Mit dem
größten Elan schwang er sich in die Regionen der Inspiration. Sein Ton war
herrlich, süß, aber zugleich so stählern, als wäre der zarte Bogen vom Arm eines
Herkules geführt!'" Sein Einfluss auf die französischen Geiger war ungeheuer.
"Durch seine Schüler Pierre Rode, Alday und Labarre wurde die Pariser
Glanzperiode des Geigenspiels eingeleitet. Auch Rodolphe Kreutzer und Baillot
hatten ihm sehr viel zu verdanken."
Das Pariser Conservatoire
In der Zeit um 1800, also kurz nach der
französischen Revolution, nach der eine soziale Umschichtung des Musikerstandes
erfolgte, finden auch Veränderungen in der Systematik und Methodik des
Violinunterrichts statt. Die ersten nachweisbaren Violinetüden, als reine
Übungsstücke für den Instrumentalisten, sind in einer Ausgabe von F. Fiorillo
aus dem Jahr 1793 zu finden. Sie beschäftigen sich mit Problemen der
Bogentechnik. Solche Musikstücke, die jeweils eine technische Schwierigkeit
isoliert behandeln oder später miteinander gezielt verknüpfen, fanden auch im
1795 gegründeten Pariser Conservatoire ihre pädagogische Anwendung. Drei
bedeutende Violinpädagogen, Rodolphe Kreutzer (1766-1831), Pierre Marie François
Baillot (1771-1842) und Pierre Rode (1774-1830), wirkten in dieser vorbildlichen
Institution. Alle drei waren sie Schüler von Viotti und halfen, den neuen
Viotti-Stil zu verbreiten. Bis 1845 waren am Pariser Conservatoire
ausschließlich Viottikonzerte vorgeschrieben. Von einer Sonderkommission wurden
sie beauftragt, eine Violinmethode auszuarbeiten, deren schriftliche
Ausarbeitung am 14. Februar 1799 vorgelegt wurde. Baillot, der die Hauptarbeit
der Ausarbeitung geleistet hatte, verfasste später eine ausgereiftere Methodik,
in der er seine jahrelangen Erfahrungen am Conservatoire einfließen ließ. Sie
wurde 1834 unter dem Titel "L'art du violon" veröffentlicht. Kreutzer und Rode
verfassten ihrerseits bekannte Etüdenwerke bzw. Capricios.
Louis Spohr
Louis Spohr (1784-1859) hatte einen langen rechten
Arm, mit dem er Töne in allen Stärkegraden aushalten konnte, sowie kräftige aber
höchst geschmeidige Gelenke, mit denen er die von ihm angewandten Stricharten,
wie vor allem das staccato serioso, besonders gut hervorbrachte. Er selbst
nannte diese Strichart, wenn sie gut ausgeführt ist, eine der Hauptzierden des
Solospiels. Er war jedoch nicht nur in den "neuen" Stricharten bewandert.
"großen Eindruck hat auf die Zeitgenossen auch vor allem seine dem Belcanto der
alten Italiener abgelauschte Fähigkeit des 'Tonspinnens' gemacht, d.h. die
Kunst, einen zarten pianissimo beginnenden Ton unter Zuhilfenahme des Vibrato
allmählich zu immer größerer Klangstärke anschwellen zu lassen." Doch trotz der
Reinheit des Tones und einer vollkommen durchgebildeten Bogentechnik war sein
Spiel nicht glanzvoll, zumindest nicht so glanzvoll wie das Niccolò Paganinis,
an dessen Maßstab alle ihm nachfolgenden Geiger gemessen wurden. "Vielleicht war
seine entschiedene Abneigung gegen ein häufig angewendetes Vibrato einer der
Gründe, warum sein Spiel nicht hinriss." In seiner Violinschule von 1832 spricht
Louis Spohr den Bögen von François Tourte ein großes Lob aus. Er erwähnt das
"unbedeutende Gewicht bei befriedigender Elastizität der Stange", "die
gleichmäßige Biegung, bei der die größte Annäherung zum Haar genau in der Mitte
zwischen Kopf und Frosch ist" und "die extrem genaue und saubere Arbeit". Seit
Louis Spohr finden sich in den Violinschulen die Bezeichnungen G.B. für "ganzer
Bogen", H.B. für "halber Bogen". Spohr war ein überaus erfolgreicher Lehrer, der
bis 1860 nicht weniger als 187 Schüler ausbildete. Viele seiner Schüler wurden
wiederum Lehrer und hatten als "Spohrschüler" nicht über mangelnden Zulauf zu
klagen. Spohr bildete jedoch eher gute Orchestermusiker, denn Virtuosen heran.
Sein Verdienst springt also nicht sofort ins Auge, zu dem Niveau der heutigen
Orchester jedoch hat Spohr die Fundamente mit gelegt.
Niccolò Paganini
Niccolò Paganini (1782-1840) hatte keine sehr
angenehme Jugend und wurde von seinem Vater, einem einfachen Kaufmann, schon
früh mit eiserner Strenge zum Üben angehalten. Er war ungemein fleißig und
konnte so schon mit 12 Jahren sein erstes Konzert geben. Später spezialisierte
er sich auf eigene Kompositionen, in denen er brillieren konnte. Werke von
anderen zeitgenössischen Komponisten, wie Kreutzer oder Rode, spielte er anfangs
nur mittelmäßig, so daß er sie aus seinem Konzertprogramm strich. Ab 1820 brach
eine violintechnische Revolution los. Durch die Paganini-Capricen und die
Ausnützung ihrer Effekte durch den Komponisten oder andere Virtuosen wie de
Bériot und Vieuxtemps schien Viotti jetzt völlig veraltet. "Der Name Paganini
ist in der Geschichte des Violinspiels gleichbedeutend mit dem Zenith oder
vielmehr dem Inbegriff der Virtuosität auf unserem Instrument." Jedoch auch
Paganini hat im eigentlichen Sinn in der virtuosen Geigentechnik nichts wirklich
Neues erfunden. Er hat jedoch die vorgefundenen Möglichkeiten kühn
weiterentwickelt und konsequent ausgebaut. Moser charakterisiert Paganini
folgendermaßen: "[…]hätte Giornovicchi Läufe von 16-24 Noten unter einem
geworfenen Bogenstrich herausgebracht, so sah Paganini nicht ein, warum er ihn
nicht mit einem Dutzend ricochettierender Töne mehr aus dem Felde schlagen
sollte. Und wenn Durand das Staunen der Zuhörer auslöste, indem er kurze
melodische Phrasen auf den beiden oberen Saiten mit dem Bogen strich und dazu
auf den unteren die Begleitung mit der linken Hand pizzikierte, so war das für
Paganini Grund genug, in ganzen Stücken mit dem gleichen, aber auf die Spitze
getriebenen Verfahren aufzuwarten usw. […]" Die einzige wirklich auf Paganini
zurückgehende Erfindung scheint eine Bogenstrichkombination zu sein, die in
Geigerkreisen unter dem Namen "Paganini-Strich" bekannt ist. Nach Paganini
jedoch sind so gut wie keine technischen Erfindungen mehr für den Bogen oder das
Griffbrett gemacht worden. Durch die eigentlich unnatürliche Übertragung einer
triolisierenden Dreiton-Strichart auf gerade Vierton-Gruppen macht dieser Strich
einen mehr oder weniger aufgeregten Effekt. Fétis, ein sonst grenzenloser
Bewunderer Paganinis, gestand jedoch, daß er ihn als "Sänger auf der Geige"
innerlich kalt ließ: "Was ich bei seinem Spiel empfand, war Staunen und
grenzenlose Bewunderung; aber nur selten hat es mich gerührt und mit jenem
seelischen Gefühl ergriffen, das mir vom wahren Ausdruck der Musik
unzertrennlich scheint." Auch mehrere andere Sachverständige, die Paganini
gehört hatten, rühmten zwar seine Sicherheit auf dem Griffbrett, sein Ton soll
jedoch trotz Schlackenfreiheit merkwürdig dünn gewesen sein und innerer Wärme
entbehrt haben. F. L. Schubert beschreibt relativ genau die etwas merkwürdig
anmutende Geigen- und Bogenhaltung Paganinis, die in einigen späteren Schulen
aufgegriffen wurde und ihre Verbreitung fand. "Paganini's Haltung war
gezwungener, indem er die Spitze des Ellenbogens ganz dicht, mit auswärts
gekehrtem Oberarm, an seinen Körper drückte; der rechte Arm lag bei ihm fest am
Körper und derselbe bewegte sich beinahe niemals. Freien Spielraum hatte bei ihm
nur das gekrümmte Handgelenk, welches sich äußerst leicht bewegte und mit der
größten Schnelligkeit die elastischen Bewegungen des Bogens leitete. Nur bei
stark herausgerissenen Arpeggien, wobei der Untertheil des Bogens nahe an den
Frosch gebracht wird, hob er die Hand und den Vorderarm etwas höher und den
Ellenbogen vom Körper ab." Diese extreme Bogenhaltung wurde schon 1797 in der
italienischen Violinschule von Bartolomeo Campangnoli (1751-1827) gelehrt. In
dieser 1827 auch in französischer und deutscher Sprache erschienenen Methode ist
das Musterbild eines Geigers abgebildet, dessen Oberarm mit einer Binde an den
Rumpf gebunden ist. Augusto Casorti, Schüler des bei C. Lafont und Pierre
Baillot in Paris ausgebildeten belgischen Geigers J. L. Meerts (1800-1863) und
Schüler von Charles de Bériot (1802-1870) in Brüssel schreibt in der Einleitung
zur seiner "Bogentechnik" op. 50: "Tous les coups d'archet se fondent du poignet
et de l'avantbras, jamais de l'arrière bras ni de l'èpaule".
Joseph Joachim
Joseph Joachim (1831-1907) erregte schon als
7-jähriger Junge als Wunderkind Aufsehen. Als Kind hatte er eine sehr steife
Bogenführung, wie sie in vielen Schulen der Zeit noch gelehrt wurde. Erst bei
seinem Lehrer Joseph Böhm, der ihn drei Jahre lang unterrichtete und für diese
Zeit in sein Haus als Pflegesohn aufnahm, lernte er eine freie Bogenführung, als
deren Vertreter er bis heute gilt. Auch als Lehrer legte Joachim größten
Nachdruck auf die Pflege des rechten Armes. Er sagte: "Die tiefste Einsicht in
die Gesetze der musikalischen Prosodie und jener Faktoren, welche die
Phrasierungskunst ausmachen, kann völlig gegenstandslos werden, wenn mir z. B.
eine mangelhafte Bogenkultur das Konzept verdirbt, d.h. wenn ich mir vom
Streichgerät fortwährend Dinge gefallen lassen muss, die gar nicht in meiner
darstellerischen Absicht liegen, die ich jedoch nicht verhindern kann, wenn ich
der Sklave des Bogens bin, statt umgekehrt er der meine." Schon als 10-jähriger
wusste er sein Publikum und die Kritiker mit seinem Spiel und seiner Technik zu
begeistern. Am 31. Jänner 1842 ist in der "Wiener Theaterzeitung" in einem
Artikel des Musikkritikers J.N. Hofzinser folgendes zu lesen: "[…] In
technischer Hinsicht behandelt Joachim die Violine auf ganz vorzügliche Weise.
Er besitzt eine schöne Bogenführung, welche selbst durch die heterogensten
Stricharten auf der E- und G-Saite nicht gestört wird, verbunden mit einer
überaus leichten Lenkung der rechten Hand[…]." Joachims Mitstreiter konnten ihm
in der plastischen Gestaltung nicht das Wasser reichen, weil ihnen oft "der
Bogen das Concept verdarb". Viele der anderen Geiger waren Sklaven ihres
Streichgerätes. Als erster spielte Joachim öffentlich die Bach'schen
Kompositionen für Violine allein und hat sie so einem größeren Kreis
erschlossen. In seiner über 60 Jahre dauernden Lehrtätigkeit hatte Joseph
Joachim im 19. Jahrhundert die größte Anzahl von Schülern, aus denen später
wieder bedeutende Künstler geworden sind. Leopold Auer und Jenö Hubay
beispielsweise durften ihn ihren Lehrer nennen. Allerdings war Joachim kein
Pädagoge, der einen grundlegenden Unterricht von den Anfangsgründen bis hin zur
vollständigen Ausbildung gab. Er beschränkte sich vielmehr auf Ratschläge und
Unterweisungen an sehr talentierte Schüler. So nimmt es nicht wunder, dass sich
schließlich mehr als 400 Geiger rühmen konnten, seinen Unterricht genossen zu
haben.
Die Jahrhundertwende
F. Louis Schubert beschrieb 1865 sehr genau die
Körperstellung und die Haltung des Bogens. Ihm war eine natürliche und
ungezwungene Haltung wichtig, die der Spieler "vor der Mitte der vorliegenden
Noten oder des Notenpultes" einnehmen sollte. Er setzt sich entschieden von der
Paganinischen Haltung ab. Auf Bogenführung und Bogenstrich legte er großen Wert,
denn sie haben "einen großen Einfluss auf die Tonbildung und den Vortrag
überhaupt, denn von der Bogenbewegung hängt die Schönheit des Tones, dessen
dynamische Nuancen, sowie die engere Verbindung der Tonphrasen ab, um diese zu
charakterisieren." In seinem Buch "Die Violine" erklärte er sehr deutlich, wie
die einzelnen Finger der rechten Hand den Bogen umschließen müssen. Daumen und
Mittelfinger liegen sich am Frosch gegenüber. Der Bogen liegt im ersten Gelenk
sowohl des Zeige- als auch des Mittelfingers, Ring- und kleiner Finger liegen
nur lose auf der Stange. Es darf kein Zwischenraum zwischen den ersten Fingern
entstehen. Die Bewegung des Bogens geht vom Unterarm aus. Der Oberarm hat beim
Streichen fast gar nichts zu tun, er darf jedoch auch nicht steif sein. Der
Raum, in dem gestrichen werden darf, ist nach hinten begrenzt. Der rechte Arm
darf nicht hinter die Fläche des Rückens hinausstreichen. Auch sind sägende
Bewegungen nicht erwünscht. Um die Möglichkeiten des Bogens in dynamischer
Hinsicht zu erlernen, gibt Schubert keine genauen Übungen an. Er vertraut hier
auf das musikalische Geschick seiner Schüler. "Den Gebrauch des Bogens, in Bezug
auf Stärke und Schwäche der Töne, lernt sich von selbst, sobald man erprobt hat,
dass die Kraft des Bogens nach der Spitze zu abnimmt." Violinschulen, wie "Die
Kunst der Bogenführung" von Emil Kross, hatten keine sehr positiven Auswirkungen
auf den Bogenbau bzw. auf die originale Erhaltung von Bögen, die im 19.
Jahrhundert oder Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurden. Er fordert durch
Manipulation am Froschmaul Veränderungen an der Bogenform vorzunehmen und somit
die Ausführungen des Handwerkers zu "verbessern": "Man schabe den
eckigen Vorsprung im Froschausschnitt heraus, da er ganz unnöthig ist, so dass
man die Daumenspitze nicht an, sondern in den Frosch legen kann. Hierdurch wird
der ganze Griff viel sicherer, und man verbraucht vermittelst dieser Einrichtung
auch leichter die ganze Bogenlänge (bis dicht an den Frosch)." Kross kann mit
dieser Lehrmeinung nicht alleine geblieben sein, da aus dieser Zeit eine
Vielzahl von Bögen mit "verstümmelter" Froschnase erhalten sind. Hermann
Schröder erwähnt 1902 einen von Carl Gley in Berlin erfundenen "Bogenführer".
Dieser Apparat zur Führung des Bogens auf der Violine soll den Anfänger dazu
zwingen, rechtwinklig zur Saite zu streichen. Bei an den Körper angelegtem,
unbeweglichem Oberarm Muss so der Unterarm alle Bewegung ausführen und das
Handgelenk leicht beweglich sein. Leider zeigt Schröder keine Abbildung des
Bogenführers. Er gibt jedoch einige Tipps zur Pflege des Bogens, dessen Haarbezug
mehrmals im Jahr auszuwechseln sei, da sich die Haare abspielen, was man daran
erkennt, dass sie öfters reißen und auch kleine weißfleckige Stellen bekommen.
Wenn der Haarbezug einmal einen Fettfleck bekommen sollte, sollte man eine Prise
Salz auf ein Löschpapier geben, damit die Stelle ausreiben und danach wieder mit
Kolophonium, einer aus Fichtenharz präparierten Masse, bestreichen. "Ein
schmutzig gewordener Haarbezug lässt sich mit warmem Wasser und Seife auswaschen,
indem der Frosch abgeschraubt wird und die Haare zwischen den Händen gerieben
werden. Man hüte sich aber hierbei, die Haare nicht zu verwickeln. Nachdem der
Haarbezug mit kaltem Wasser nachgespült ist, wird der Frosch wieder
angeschraubt, die Haare lose angespannt und der Bogen zum Trocknen derselben
aufgehängt. Sind die Haare vollständig getrocknet, so reibt man den Bezug mit
pulverisiertem Kolophonium ein und streicht das etwa zu dick aufgetragene
Kolophonium auf einer nicht im Gebrauch befindlichen Geige ab, ehe man den Bogen
wieder gehörig in Gebrauch nimmt." Bis 1903 wird in den Violinschulen auf der
steifen und passiven Behandlung des rechten Oberarms beharrt, obwohl auch die
hervorragenden Geiger der Zeit, die einen kräftigen Ton aus ihrem Instrument
hervorbrachten, den Oberarm mit einsetzten. Mit fixiertem Oberarm ist es beinahe
ein Ding der Unmöglichkeit, einen kräftigen, klangvollen Ton zu produzieren. In
keiner Violinschule des 18. oder 19. Jahrhunderts ist eine Opposition zu
erkennen, die sich gegen die Überbetonung des Handgelenks und das vielfach
direkt ausgesprochene Verbot des Einsatzes des Oberarms stark macht. Ferdinand
Küchler äußert sich verwundert über die Blindheit der Violinschulenverfasser:
"Schon vor vielen Jahren hätte jeder Violinlehrer, welcher einen bedeutenden
Geiger spielen sah, erkennen müssen, dass ein großer Zwiespalt zwischen der
Bogenführung der großen Virtuosen und der gedruckten Lehren der Violinschulen
vorhanden war. […] Aus falsch angewendeter Pietät für diesen oder jenen
berühmten Verfasser eines Lehrwerkes, dessen musikalischer Wert unantastbar war,
rüttelte man lange Zeit nicht an den falschen Lehren der Bogenführung, welche
traditionell von einer Violinschule in die andere wanderten. Man entschuldigte
großzügige Bewegungen des Oberarms hervorragender Virtuosen als Extravaganzen
genial veranlagter Menschen. Der Respekt vor dem gedruckten Wort war so groß,
dass man nicht wagte, etwas an den alten, schon von den Großvätern übernommenen
Lehren zu ändern, man scheute sich davor, für den Unterricht die Konsequenzen
aus dem Spiel der großen Geiger zu ziehen und eine Gesetzmäßigkeit aus D e m
abzuleiten, was man nur als Laune des Genies gelten lassen wollte." Dr. F. A.
Steinhausen machte in seinem 1903 veröffentlichten Buch "Die Physiologie der
Bogenführung" den Violinlehrern der Zeit den Vorwurf, "sie kennen nichts anderes
als die Ausbildung des Handgelenks". Steinhausens Lehre setzte sich nur sehr
langsam im deutschen Sprachgebiet durch. Carl Flesch weist als erster Pädagoge
1905 auf die Rollbewegung von Ober- und Unterarm hin, die sich beim Streichen
vollzieht. In seinen "Urstudien" stellt er dem Schultergelenk und den
Fingergelenken besondere Aufgaben und lässt die Bedeutung des mechanisch
begrenzten Handgelenks zurücktreten. Er lehnt jede Beeinflussung durch den
Nichtmusiker Steinhausen ab. In seinem "Lehrbuch der Bogenführung auf der
Violine" beschreibt Ferdinand Küchler die Hauptfehler aller älteren Lehrwerke,
die hauptsächlich darin zu finden sind, dass die Autoren ausschließlich auf die
Bogenhaltung, nicht jedoch auf den Bewegungsablauf beim Streichen eingehen.
Daraus entstehen dann Verkrampfungen und die Steifheit der Gelenke. Küchlers
Ansicht nach müssen die Finger zwar in der Ringgriffstellung gehalten werden,
sie müssen jedoch in erster Linie einen entspannten Bewegungsablauf garantieren.
Er geht auch auf das "Kanten" des Bogens beim Spielen am Frosch ein. "Der
Spieler muss sich bemühen, mit möglichst vielen Bogenhaaren zu spielen. Immer
alle Haare zu gebrauchen ist nicht möglich, weil beim Spielen mit allen Haaren
der Bogen seine spitzwinklige Neigung nach dem Griffbrett verlieren müsste, er
wäre nicht mehr nach dem Griffbrett 'gekantet'". Noch 1921 erschienen
Violinschulen, wie beispielsweise Klinglers "Über die Grundlagen des
Violinspiels", in denen die veraltete Bogenhaltung mit dem Motto "Finger fest,
Handgelenk lose!" verbreitet wurde. Andreas Moser stimmt dieser Formel zwar
einerseits zu, er bemerkt jedoch andererseits, daß eine richtige Bogenführung
nur dann möglich ist, "wenn ich gleichzeitig um die Nervenenden in den
Fingerspitzen und deren Bedeutung für die eigentliche Vermittlung des
künstlerischen Wollens weiß. Es ist nämlich notwendigerweise auch noch ein Spiel
der Finger an der Bogenstange innerhalb des 'festen Bogengriffs'." Die Geiger
strebten im Lauf der Zeit immer mehr nach einem kraftvolleren Ton. Da jedoch
durch eine feste, jederzeit kraftvolle Bogenführung ohne Schwächen nur große
Töne erzeugt werden können, versuchten sie für den seelischen Ausdruck ein
anderes Mittel zu finden. Sie suchten es im Vibrato der linken Hand, was dazu
führte, daß nahezu jeder Ton mit einer Schwankung versehen wurde. Der
eigentliche Atem des Instruments, nämlich eine variable, differenzierte
Bogenführung wurde vernachlässigt.
Der Bogen in der modernen russischen Violinschule
Einer der berühmtesten Vertreter der russischen
Geigerschule war Leopold von Auer (1845-1930). Sie wird nach ihm auch heute noch
oft "Auer-Schule" genannt. Aus dieser Schule gingen berühmte Geiger wie
beispielsweise Efrem Zembalist, Mischa Elman, Jascha Heifetz und Nathan Milstein
hervor. Da Auer zu den Lehrern gehörte, die ihre Schüler nicht zu Kopien ihrer
selbst formen wollten, sondern vielmehr versuchten, die Persönlichkeit des
Lernenden ganzheitlich zu fördern, dürfte es schwer fallen, den Begriff der
"Auer-Schule" allzu eng zu sehen. Die Ebene des Streichens wird nun weniger als
Auf- und Abstrich, sondern viel mehr als ein Hin- und Herstreichen empfunden.
Das Eigengewicht des Armes kann so auf den Bogen übertragen werden, was vollends
dazu ausreicht, den größten Ton zu bilden. Die geringst mögliche Muskelspannung
soll dabei angestrebt werden, da zu starke Muskelspannung oder gar Verkrampfung
das Armgewicht reduziert. Die russische Geigerschule bevorzugt Bögen mit einer
sehr festen, widerstandsfähigen Stange, da mit einer höheren Haarspannung
gespielt wird. Trotz Kanten des Bogens soll möglich immer mit allen Haaren
gespielt werden. Der Bogen wird dabei durch den Arm geführt, die Finger sind
beim Streichen relativ passiv, sie sind dabei weder gespreizt, noch aneinander
gepresst, sondern liegen in natürlichem, entspanntem Abstand an der Stange. Auch
hier wird der Ringgriff gelehrt, bei dem sich Daumen und Mittelfinger gegenüber
liegen, während die anderen Finger frei sind für Gleichgewichtsübertragungen
und Ausgleichsbewegungen. Der kleine Finger steht dabei auf der Stange, um am
Frosch das Bogengewicht abzufangen. Je nach Bogenposition ist er gestreckt oder
gekrümmt. "Beim Spiel an der Spitze (ausgenommen während des Ansetzens an dieser
Stelle) muss man sich nicht absichtlich bemühen, den kleinen Finger an der Stange
zu halten, wie es viele Lehrer fordern." Der Daumen liegt an der Stange, ohne
sich zu sehr am Frosch anzulehnen. Er krümmt und streckt sich mit den anderen
Fingern. Beim von Auer eingeführten "Petersburger Griff" liegt das
Handwurzelglied des Zeigefingers am Bogen an. "Dieser Griff brachte im
Unterschied zu den früheren Haltungen durch direkte Druckübertragung weitaus
größere klangliche Ergebnisse bei geringstem Kraftaufwand, aber auch Hemmnisse
beim Spiel am Frosch, schon durch den Zwang, den Oberarm heben zu müssen. Später
wurde die auch heute gebräuchliche Haltung gefunden, bei der die Auflagestelle
an der Verbindung zwischen Mittel- und Handwurzelglied liegt, durch die das
Gewicht noch immer direkt und mit geringem Kraftaufwand übertragen wird, die
aber größere Behändigkeit in der unteren Bogenhälfte gibt […] Beim Bogenwechsel
vom Auf- zum Abstrich am Frosch verlassen das Mittel- und Nagelglied des
Zeigefingers meistens die Stange durch passives Fortführen des Aufstrichs
während und nach dem Bogenwechsel, ohne das der Finger seine Auflagestelle
verändert oder von ihr abgehoben wird. Diese wohlgemerkt nicht absichtlich aktiv
gemachte Bewegung des Zeigefingers ist ein Charakteristikum in der Bogenführung
vieler Geiger." Da der Bogen vom Arm geführt wird, zieht dieser beim
Bogenwechsel bereits in die neue Richtung, während die Bewegung in der alten
Strichrichtung in den Fingern ausläuft.
Ausblick
Immer schwieriger wird es, Schulen, Einflüsse und
Herkunftsländer gegeneinander abzugrenzen. Eine multinationale Ausbildung der
heutigen Musiker, sowie die weltweite Verbreitung der Musik durch Tonträger
aller Art geben ihr Übriges zu einer Verschmelzung. "Es ist nichts
Außergewöhnliches, in Südamerika geboren zu sein, in Nordamerika ausgebildet zu
werden, in Moskau weiter zu studieren, in Brüssel am Reine-Elisabeth-Wettbewerb
teilzunehmen, in London eine Lehrstelle zu finden, in Japan Kurse abzuhalten und
daneben weltweit zu konzertieren." Insgesamt gesehen, strahlt jedoch die
russische Geigerschule bis heute durch nahezu alle modernen Lehrstile hindurch.
Wie oben bereits angedeutet, waren die denkbaren Schwierigkeiten für den Bogen
und das Griffbrett mit Paganini oder Ernst ausgereizt. Moser beschreibt die
modernen Komponisten nach dem Hellmesbergerschen Witzwort: Sie schreiben nicht
Konzerte für, sondern gegen die Violine. "Nur zu oft beobachtet man bei Geigern,
die sich viel mit neuesten Kompositionen abgeben, dass an die Stelle geordneten
Lagenspiels und sogenannter Griffbrettkultur nur noch ein sich auf den Tastsinn
und das Raumgefühl verlassendes Hin- und Herspringen der Linken tritt, und
hinsichtlich der Stricharten wird eine so barbarische Vereinfachung der Technik
Ereignis, dass man es angesichts derartiger Aufgaben fast bereut, sich eine
anständige Bogenführung angeeignet zu haben."
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