Die Geiger
Wilhelm Cramer und Giovanni Battista Viotti
Auszug aus Versuch einer
Darstellung der Entwicklung des Violinbogens
Zur Entwicklung der Violintechnik, Bogenhaltung und
Bogenführung
Wilhelm
Cramer, der bedeutendste ausübende Künstler der Mannheimer
Schule wurde 1745 in Mannheim geboren. Von 1757-72 war er
dort Sologeiger an der kurfürstlichen Kapelle. Auf
Veranlassung von Johann Christian Bach ging er 1773 nach
London, wo er Hofkonzerte dirigierte und u.a. "leader" des
Orchesters der italienischen Oper wurde. Zusätzlich
dirigierte er Concerte für alte Musik und die jährlichen
Concerte des Musical Fund, der späteren Royal Society of
Musicians. "Bei Gründung der Professional Concerts wurde
Cramer als leader an die Spitze
gestellt und konnte als solcher die Werke Haydns dem Meister
bei seiner Anwesenheit in London selbst vorführen." 1793
schrieb ein Deutscher in der Berliner Musikalischen Zeitung
über ihn: "Cramer spielt seine eigenen Concerte sehr schön,
hat einen guten Ton, trägt sehr schwere Sachen mit großer
Nettigkeit vor und spielt sehr rein und präcis." Von Daniel
Schubart ist über ihn zu lesen: "Wilhelm Cramer ist ein
Geiger voll Genie […]. Die Engländer nennen ihn den ersten
Violinisten der Welt. Wenn auch dies Urtheil übertrieben
seyn möchte; so muss man doch gestehen, dass er es zu einer
bewundernswerthen Vollkommenheit auf seinem Instrument
gebracht hat. Sein Strich ist ganz original: er führt ihn
nicht wie andere Geiger grande herunter, sondern oben hinweg
und nimmt ihn kurz und äußerst fein. Niemand stakirt die
Noten mit so ungemeiner Präzision wie Cramer. Er spielt sehr
schnell, geflügelt, und dies alles ohne Zwang; doch gelingt
ihm das Adagio oder vielmehr das Zärtliche und Gefühlvolle
am meisten. Es ist vielleicht nicht möglich, ein Rondo süßer
und herzerfüllter vorzutragen, als Cramer es thut."
So wie man Tartini stilbildend für die erste Hälfte des 18.
Jahrhunderts betrachtet, gilt dies wohl für Giovanni Battista
Viotti (1755-1824) in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts. Er wird auch der "Vater des modernen
Violinspiels" genannt. Seine Violinkonzerte entstanden
meistenteils zwischen 1780 und 1800. Sie bilden die Brücke
zwischen den Violinkonzerten Wolfgang Amadeus Mozarts (1775)
und Ludwig van Beethovens (1806). Viotti erfüllte bereits
alle Bedingungen eines Virtuosen-Komponisten. Seine Konzerte
beschränkten sich jedoch nicht auf halsbrecherische
Akrobatik, sondern verbanden Ton, Technik, Grazie und Drama.
Seine Konzertreisen brachten ihn von Italien über die
Schweiz und die Höfe Dresden und Berlin und weiter über
Warschau nach St. Petersburg. Ende 1781 verließ er die
russische Metropole und begab sich über Berlin nach Paris,
wo er am 17. März 1782 unter beispiellosem Erfolg im Concert
spirituell debütierte. Durch die Auswirkungen der
Französischen Revolution verließ er 1792 Paris und reiste
nach London. Dort hatte Wilhelm Cramer sehr unter seinem
großen Erfolg zu leiden. Viottis glückliche Zeit in London
war jedoch bald zu Ende. Er wurde verdächtigt, ein Spion in
französischen Diensten zu sein und musste London sofort
verlassen. Der Künstler, der sich unschuldig wusste, reiste
tief gekränkt nach Deutschland, wo er in Schenefeld bei
Hamburg für einige Zeit lebte. Dort schrieb er unter
anderem auch eine Violinschule. Sein Grundsatz war: “Le
violon, c'est l'archet”. Im Jahre 1801 erhielt er die
Erlaubnis, nach England zurückzukehren. Aber man nahm ihn in
London diesmal sehr kühl auf, weshalb er 1802 zu einem
kurzen Besuch nach Paris ging. Er ließ sich von Baillot
überreden, im Konservatorium aufzutreten, und erregte das
größte Entzücken. Baillot gab folgende Schilderung seines
damaligen Spiels: “Alles schien mühelos dahinzufließen,
weich und doch energisch. Mit dem größten Elan schwang er
sich in die Regionen der Inspiration. Sein Ton war herrlich,
süß, aber zugleich so stählern, als wäre der zarte Bogen vom
Arm eines Herkules geführt!" Sein Einfluss auf die
französischen Geiger war ungeheuer. Durch seine Schüler
Pierre Rode, Alday und Labarre wurde die Pariser
Glanzperiode des Geigenspiels eingeleitet. Auch Rodolphe
Kreutzer und Baillot hatten ihm sehr viel zu verdanken.
Anke Gerbeth |