Die Biegung
des Streichbogens
Das Geheimnis der Spieleigenschaften?
Die
wenigsten Musiker, ob Profis oder Laien, haben die
Gelegenheit, beim Entstehungsprozess eines Bogens, eventuell
auch ihres eigenen Bogens, dem Bogenmachermeister über die
Schulter zu schauen. Viele Bogenmacher stellen die Bogen in
höheren Stückzahlen her und lassen den Kunden danach aus
einer größeren Menge den passenden Bogen für sich
heraussuchen oder sie liefern gar an Geigenmacher oder
Händler. Hierdurch entsteht selten ein direkter Kontakt
zwischen Bogenmacher und Musiker, der teilweise auch nicht
gesucht wird.
Dies hat zur Folge, dass die wenigsten Musizierenden wissen,
wie ihr Bogen entstanden ist und beispielsweise seine
gekrümmte Form erhalten hat. Die Auswirkungen auf das
Spielverhalten und die Klangeigenschaften verschieden
angelegter „Biegungen“ - der Fachausdruck für die gekrümmte
Form der Stange - sind nahezu unbekannt.
Die im Bogenbau verwendeten Holzarten Fernambuk oder auch
das unter dem Namen Brasilholz bekannte Masaranduba
bestehen, wie alle Hölzer, größtenteils aus Lignin. Lignin
ist die Gerüstbausubstanz des Holzes, die in die Cellulose
eingelagert ist und dort eine zusätzliche Versteifung der
Fasern bewirkt. Unter dem Einfluss von Wärme werden diese
Fasern flexibel. Ausschließlich in diesem erwärmten Zustand
- wir reden hier von einem Temperaturbereich von 120 °C bis
140 °C - können sie unter äußerer Krafteinwirkung in eine
neue Form gebracht werden. Die mit dieser Methode
beigebrachte Verformung des Materials ist nach dem Erkalten
dauerhaft und stabil. Interessant dabei ist, dass egal wie
oft sachgerecht an der Bogenstange gebogen wird, die
Festigkeit und Struktur des Materials nicht angegriffen
wird.
Beim
Herstellungsprozess eines jeden Holzbogens wird der Rohling
der Holzfaser folgend grob aus dem Brett gesägt. Das ist
wichtig, weil die Fasern beim Biegevorgang in Längsrichtung
eine enorme Widerstandskraft aufweisen. Die Fasern in
Längsrichtung in heißem Zustand zu brechen ist nahezu
unmöglich. Im Gegensatz hierzu finden wir zwischen den
einzelnen Fasern nur relativ geringe Kräfte. Verwachsungen
und schräg laufende Fasern bilden daher ein großes
Bruchrisiko für den Bogen im Herstellungsprozess, wie auch
beim fertigen Bogen.
Anschließend wird die Stange mit 4-eckigem Querschnitt so
vorgehobelt, dass sie an jedem Punkt 1 mm stärker ist als
das Endprodukt. Bei einer guten Holzauswahl ist die Stange
in diesem Zustand nahezu gerade.
Über einer offenen Flamme, meistens aus einem
Spirituslämpchen oder in einigen Werkstätten auch über einer
Gasflamme, wird das Werkstück nun abschnittsweise vorsichtig
erhitzt. Dabei wird das Werkstück kurz in die Flamme
gehalten und anschließend für wenige Sekunden wieder der
Raumtemperatur ausgesetzt. In dieser Zeit „wandert“ die
Hitze von den äußeren Schichten nach innen und so kann im
gesamten Querschnitt eine gleichmäßige Temperatur erzeugt
werden. Dies ist wichtig, damit später keine Spannungen und
Veränderungen in der Biegung aufkommen. Andererseits würde
bei andauernder Wärmezufuhr die äußere Hülle angegriffen
(regelrecht verbrennen) und die Struktur des Materials auf
diese Weise zerstört werden.
Ist
die optimale Biegetemperatur erreicht, kann das Material
über der Werkbankkante oder dem Knie des Meisters in die
gewünschte Form gebracht werden. Erkaltet die so behandelte
Stelle, bleibt diese neue Form erhalten. Ein neuer Abschnitt
kann nun in gleicher Weise behandelt werden, um nach und
nach der gesamten Stange eine gleichmäßige Biegung zu geben.
Immer wieder wird überprüft, ob die Kurve dem optimalen
Verlauf entspricht. In diesem Stadium dient zur Überprüfung
eine Schablone, in die das Negativ der Biegung gearbeitet
wurde. Später, wenn bereits der Frosch auf die Stange
montiert ist, wird auch der angespannte Zustand überprüft.
Nahezu in jedem Stadium der Stangenfertigung gibt es
Arbeitsschritte, welche die Biegung optimieren. Dabei ist
abwechselnd der Hobel und die Flamme maßgeblich an dieser
Gestaltung beteiligt.
Letzte Korrekturen werden am fertigen Bogen vorgenommen. Ist
der Bezug kolophoniert kann der Bogenmacher erstmals
überprüfen ob der Bogen die geplanten Spieleigenschaften hat
und den Klangvorstellungen entspricht. Dann hat der
Bogenmacher nochmals die Möglichkeit mit Veränderungen an
der Biegung den Bogen optimal auf Musiker und Instrument
abzustimmen. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit dem
Verrücken der Stimme, dem Wechsel der Saiten oder des Steges
an einem neu erworbenen Instrument. Erst im Zusammenspiel
zwischen Musiker, Instrument und Bogen lassen sich
Feinheiten erkennen und durch gezielte Veränderungen an der
Biegung eine Optimierung erreichen.
Dabei
können sich kaum sichtbare Unregelmäßigkeiten oft stärker
auf die Spiel- und Klangeigenschaften auswirken als
Biegungen, die wesentlich von der „Norm“ abweichen. Auch
kann sich ein Bogen bei Musiker A extrem ruhig verhalten,
für Musiker B ist er unkontrollierbar. Diese
Unkontrollierbarkeit - die Stange versetzt sich ohne zutun
in hör- und sichtbare Eigenschwingungen - erzeugt gerade bei
Kindern, die mit Bögen niedriger Qualität spielen, den so
genannten „Katzenjammerton“.
Die Tiefe der Gesamtbiegung hat wiederum Auswirkungen auf
die Art der Klangerzeugung. Gehen wir davon aus, dass der
optimale Abstand zwischen Haaren und Stange ca. 8 mm
betragen sollte, sind die Haare einer tiefer gebogenen
Bogenstange in diesem Spielzustand „straffer“, als wenn die
Stange eine flachere Gesamtbiegung vom Bogenmacher erhalten
hat. Straffer gespannte Haare legen sich härter auf die
Saite und erzeugen so den Ton auf eine „aggressivere“ Weise
als weniger gespannte Bogenhaare, die mehr “in die Saite”
gehen. Gleichzeitig kann so das Springverhalten, die
Reaktionsschnelligkeit, die Ansprache, ja sogar das Gefühl
für das Gleichgewicht des Bogens entscheidend beeinflusst
werden.
An Grenzen stößt jedoch auch der Fachmann, wenn Material und
Ausarbeitung nicht optimal auf einander abgestimmt sind.
Anke Gerbeth
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