Der Bogen in
der Zeit von 1770 bis 1800
Dieser Zeitraum war geprägt
von großen politischen Veränderungen, die schließlich ihren
Höhepunkt in der französischen Revolution (1789) fanden.
Diese Veränderungen hatten auch großen Einfluss auf das
Musikleben der Zeit. Während die gehobene Kunstmusik bisher
fast ausschließlich an adeligen Höfen zur Aufführung
kam, die Musiker von ihren Herren abhängig waren und so die
Musik nur einem kleinen Kreis von Zuhörern zugänglich war,
fanden die Konzerte nun zunehmend in bürgerlichen
Konzertvereinen statt. Mit der steigenden Zahl des
bürgerlichen Publikums wurden auch die Räume größer, in
denen musiziert wurde. Diese neuen großen Konzertsäle
wollten mit Klang gefüllt und erfüllt werden. Ausgehend von
Paris begannen Geigenmacher wie Pique und Lupot bei den
neuen, wie auch bei den hervorragenden alten Instrumenten,
Veränderungen an Halswinkel, Halslänge, Steg und Bassbalken
vorzunehmen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.
In Wechselwirkung mit diesen Neuerungen vollzogen sich auch
Neuerungen am Bogen.
Im Vergleich zum Barockbogen wird die Stange insgesamt
gesehen etwas länger, diverse höhere, stärkere und dadurch
auch schwerere Froschformen werden ausprobiert und auch der
Kopf wird höher und massiver. Auch der Haarbund wird durch
die größere Anzahl der verwendeten Haare etwas breiter und
misst nun etwa 7-8 mm.
Hiermit entsteht der sogenannte Cramer-Bogen, der auch
häufiger als Übergangsmodell bezeichnet wurde und wird. Das
älteste Dokument für einen solchen Bogen ist in einem
Pariser Nachlaß aus dem Jahre 1787 zu finden. Hier ist von "quatorse
archets de violon à la Cramer" die Rede. Auch in England
taucht wenig später ein Hammerkopfmodell auf.
Inwieweit der deutsche Geiger Wilhelm Cramer (1743 oder
1745-1799) für die neue Form des Bogens und die
dazugehörenden spieltechnischen Qualitäten verantwortlich
zeichnet, ist leider nicht bekannt. Auch weiß man nicht, ob
Cramer das neue Bogenmodell in Frankreich erwarb und von
dort in ganz Europa verbreitete, oder ob er es vielleicht
schon aus Deutschland mitgebracht hatte. In seiner
“Geschichte des Violinspiels von seinen Anfängen bis 1761”
bezeichnet David D. Boyden Cramer als einen Geiger, der
offensichtlich außerordentliche Fähigkeiten besaß und als
solcher zweifellos die englischen Bogenmacher beeinflusste.
Dieses Bogenmodell zeichnet sich durch seinen recht hohen
kantigen Kopf aus, der wegen seiner Form, auch
Hammerkopfbogen genannt wird. Durch den schweren, großen
Kopf wandert der Gleichgewichtspunkt mehr zur Bogenmitte.
Nach modernen Gesichtspunkten sind Bögen im Cramer-Modell
sehr kopflastig. Der hohe Kopf gewährleistet jedoch einen
großen Abstand der Haare von der Stange, was wiederum jetzt
eine konkave Biegung der Stange möglich werden lässt. Die
Haare können nun straffer gespannt werden, da auch bei Druck
auf die Haare sich die Stangenenden nicht nach innen bewegen
können. Die Stange kann nur in der Mitte nach unten
nachgeben. Je mehr man die Haare durch den beweglichen
Schraubfrosch anspannt, desto kraftvoller wird das
Spielgefühl und desto lauter die erzeugbaren Töne. Bogen
diesen Typs finden wir in dem Zeitraum von 1770-1800 in ganz
Europa, die frühesten Beispiele nachweisbar in Frankreich.
Seine größte Beliebtheit erfuhr dieser Bogentyp zwischen
1772 und 1792. Eine große Anzahl von Bogenmachern reagierte
auf die große Nachfrage. So bauten z. B. Tourte L., Lafleur
und Bogenmacher der Familie Meauchand in Frank-reich solche
Bögen. In England wurden sie unter anderem von den
Bogenmachern Edward und John Dodd oder von Mitarbeitern der
Firmen Forster oder Norris & Barnes gefertigt. Auch in
Deutschland erfreute sich dieser Bogentyp großer
Beliebtheit.
Diese
Bögen wurden sowohl aus Schlangenholz, als auch aus
Fernambuk hergestellt. Der Frosch kann barock reich verziert
sein, aber auch schlichte Formen haben. Aus der schlichten,
geradlinigen Form hat sich später die Froschform des
modernen Bogens entwickelt.
Interessant ist, in welcher Weise am Beginn der
Schraubfroschtechnik der Frosch auf der Stange aufsaß. An
der Stangenunterseite ist eine Elfenbeinplatte eingelassen,
die im vorderen Bereich spitz zuläuft. Diese Platte deckt
eine V-förmige Ausbuchtung im Stangenholz ab, die auch bei
Steckfroschbögen zu beobachten ist. Sie stellte dort die Nut
dar, die den Frosch in Position hielt. Es ist denkbar, dass
Musiker ihre Steckfroschbögen umbauen ließen, woraufhin
diese Konstruktion entstand, die später auch im Neubau
Einzug fand. Ein Stift oberhalb des Stangenkästchens, der
sich in einer Nut im Frosch bewegen konnte, gab dem Frosch
eine gewisse Führung.
Anke Gerbeth |